Gastbeitrag von Peter Jelinek
Gibt es in Europa eine Anti-Green-Deal-Stimmung?

Die kollabierte Fabrik Rana Plaza nahe Dhaka, in der auch der deutsche Textildiscounter Kik fertigen ließ, führte zu Tausenden Toten. Ein gebrochener Damm an der Eisenerzmine in Brumadinho, Brasilien, in dessen Folge mehr als 270 Menschen unter giftigem Wasser und Schlamm begraben wurden. Oder die Kinderarbeit im Kongo für den Batterierohstoff Kobalt. Drei Beispiele von Unzähligen, die in gruseliger Regelmäßigkeit immer wieder auftreten und sich in unseren Produkten wiederfinden. Der Anspruch eines Lieferkettengesetzes ist natürlich hoch, soll das Gesetz doch genau das verhindern.

Februar 2024 | Nachhaltigkeit | 0 Kommentare

Peter Jelinek

Peter Jelinek, Gründer von Green State, berät Unternehmen bei der Einschätzung von Chancen und Risiken in Verbindung mit der nachhaltigen Transformation in Europa und der Welt. 

Peter Jelinek, Gründer von Green State, berät Unternehmen bei der Einschätzung von Chancen und Risiken in Verbindung mit der nachhaltigen Transformation in Europa und der Welt. 

 

Im Zuge eines Wissensaustausches verfassen verschiedene Autor:innen ihre Themen in unterschiedlichen Publikationen. Dieser Fachbeitrag von Peter Jelinek beschäftigt sich mit der Torpedierung des Lieferkettengesetzes durch die FDP.

 

Lieber Leserinnen und Leser von UmDEX.de,

und täglich grüßt das Murmeltier. Auch 2024 gilt der Film-Titel von 1993, der vor allem im politischen Brüssel eines verdeutlicht: Das große und gemeinsame Europa existiert nur, wenn es die Situation erlaubt. Russlands Angriffskrieg, die Corona-Pandemie oder der Brexit – Europa kann in solchen Situationen nicht stark genug sein. Für die weniger spannenden Zeiten tritt dann genau das wieder ein, was jetzt passiert ist: die politische Blockade. In diesem Fall nicht durch fehlende E-Fuels, sondern einer wichtigen EU-Richtlinie in Europa – dem Lieferkettengesetz (CSDDD). Übeltäterin, mal wieder, die FDP. Eigentlich schon im Dezember letzten Jahres von Deutschland abgenickt, kommt jetzt das Veto von der FDP und damit das drohende Aus für das gesamte Gesetz – fast gleichzeitig mit dem FDP-Wahlplakat „Eurofighterin” und der Kür der EU-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die beiden Ereignisse allein zeigen schon, wohin die Reise im politischen Spektrum geht: Europa ja, aber bitte ohne mehr Green Deal, ohne vertiefte Richtlinienkompetenzen in Wirtschafts- oder Gesellschaftspolitik.

Bürokratieabbau im Namen der Bequemlichkeit

“Ich bin wirklich entsetzt darüber, dass sich das Präsidium der FDP vor wenigen Tagen offiziell gegen das EU-Lieferkettengesetz ausgesprochen hat”, schreibt Antje von Dewitz, Chefin des Outdoorherstellers VAUDE vor einigen Tagen entrüstet – und das zurecht.

Die kollabierte Fabrik Rana Plaza nahe Dhaka, in der auch der deutsche Textildiscounter Kik fertigen ließ, führte zu Tausenden Toten. Ein gebrochener Damm an der Eisenerzmine in Brumadinho, Brasilien, in dessen Folge mehr als 270 Menschen unter giftigem Wasser und Schlamm begraben wurden. Oder die Kinderarbeit im Kongo für den Batterierohstoff Kobalt. Drei Beispiele von Unzähligen, die in gruseliger Regelmäßigkeit immer wieder auftreten und sich in unseren Produkten wiederfinden. Der Anspruch eines Lieferkettengesetzes ist natürlich hoch, soll das Gesetz doch genau das verhindern.

Firmen wie VAUDE, die sich unter anderem im Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW)wiederfinden, nehmen diese Missstände schon lange nicht mehr hin. Seit Jahren investieren sie in ihre Lieferketten – aus reinem wirtschaftlichen Eigennutz und auch, weil die Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeiter:innen, die hierzulande hochgehalten wird, nicht in der hauseigenen Fabrik im Ausland endet. Das Ergebnis ist beeindruckend: Wer ein Produkt von VAUDE kauft, kann transparent nachlesen, wie nachhaltig und fair es hergestellt wurde. Knackpunkt an der Sache: Die Entscheidung beruhte bislang auf Freiwilligkeit und findet sich im Preis wieder. Anders gesagt: Es verzerrt den Markt, denn auf keinem Produkt aus Kinderarbeit steht klar gekennzeichnet „Aus Kinderarbeit“. Der Markt verwehrt sich trotz der unzähligen Skandale wie in der Fabrik in Dakahr noch immer und liefert damit kaum einen Anreiz zur Veränderung.

Faire Bedingungen für alle, das ist der Wunsch und auch der Anspruch der Politik mit einem solchen Gesetz. Und hier sind wir wieder in Brüssel: Denn der deutsche Alleingang beim Lieferkettengesetz hat tatsächlich einen Knackpunkt: Er gilt nicht in Rumänien. Die europäische Lösung heißt dann umständlich “Corporate Sustainability Due Diligence Directive” – kurz CSDDD. Doch das eigentlich schon beschlossene Projekt – vom EU-Parlament bis zum Rat gibt es eine Einigung – kippelt nun. Die FDP stellt sich plötzlich quer, denn?

Seit Monaten beklagen mächtige Wirtschaftsverbände eine Überforderung. Die „Brüsseler Bürokratie“ (früher Gurkennorm und Glühbirnen, heute Lieferkettengesetz) hat damit wieder ihren Einzug in den Wahlkampf gehalten. Die Kosten dafür und die Umstellung wären laut Wirschaftsverbänden angesichts von Inflation und Rezession eine zu große Belastung.

Soweit die Anklageschirft, die Realität sieht dabei völlig anders aus, wie eine Umfrage in betroffenen Firmen zeigt. Über 70 % geben an, dass sie entweder angesichts der EU-Gesetzgebung schon alles eingerichtet haben und keine Umstellung benötigen oder gerade dabei sind. 19 % sind in der Findungsphase und nur 5 % haben noch keine Schritte unternommen. Mit Blick auf die Auswirkungen, sind über 70 % gegenüber dem Gesetz “sehr positiv” oder “eher positiv” gestimmt. Angesichts dieser Zahlen stellt sich die Frage: Geht es hier wirklich um zu viel Bürokratie oder um Bequemlichkeit?

Markchance Green Deal

So oder so spielt der Begriff “Bürokratie” eine bedeutende Rolle. Seit Wochen trommelt die Union in Deutschland mit diesem Begriff gegen die Ampel-Regierung und im kürzlich geleakten Wahlprogramm der Schwester-Fraktion im EU-Parlament der EVP kommt das Wort “Bürokratie” ganze sechsmal in allen wichtigen Bereichen vor – von Klima- bis zur Wirtschaftspolitik. Und klar, wer hat schon was gegen weniger Bürokratie? Niemand. Das denkt sich auch die FDP, die zusammen mit ihrer Schwerster-Partei in Frankreich unter dem Präsidenten Emmanuel Macron seit Monaten alle Arten von Umweltgesetzen unter dem Vorwand der wachsenden Bürokratisierung in die Zange nimmt – oder jetzt eben das Lieferkettengesetz.

Übersetzt für das Mondprojekt Green Deal, wie EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen (CDU) es einmal nannte, bedeutet das: Vier Jahre Green Deal sind dann auch mal genug, jetzt muss es wieder um die Wirtschaft gehen. Dabei sind wir dem Kern des des Problems näher gerückt: Die Rakete, die uns zum Mond tragen soll, ist noch nicht einmal fertiggestellt, um abzuheben. Im Gegenteil: Es ist ein dynamischer Prozess, der von einer Corona-Pandemie oder einem Angriffskrieg wahlweise unterbrochen oder beschleunigt, aber definitiv nicht fertigestellt wurde. 250 Jahre Kohle, Öl und Gas-Infrastruktur lassen sich nicht in weniger als fünf Jahren umbauen oder auch finanzieren.

Und damit geht die Reise jetzt weiter zum Kern des Problems: Was Antje von Drewitz mit VAUDE moniert, sind faire Marktbedingungen in Europa, die dann auf andere Märkte abfärben. Es sind Marktchancen, die sich hier ergeben, denn Nachhaltigkeit ist idealerweise kein Buzzword, sondern schafft Innovation – in (Energie-) Effizienz, in Ressourcennutzung allgemein und in der Entwicklung neuer Technologien. Und hier ist der Kern des Problems: Das Verständnis vom Green Deal an sich, was hierzulande gerne als Transformation der Wirtschaft übersetzt wird.

Ohne Investition kein Green Deal

ThyssenKrupp, dm, E.On, EnBW, Ikea, Otto, Puma, Rossmann oder die Telekom – alles Unternehmen, die einen gemeinsamen Nenner haben: Transformation zur Klimaneutralität und Sicherung unserer Demokratie sind zwei Seiten derselben Medaille. Mit mehr als 50 weiteren Unternehmen haben sie sich einem Appell der Stiftung KlimaWirtschaft angeschlossen, die die Mondlandung oder eben Jahrhundertprojekt namens Energiewende in den Blick nimmt.

Und genau darum geht es beim Green Deal in Europa oder eben der Transformation der Wirtschaft hierzulande: Unser Wirtschaftsmodell lebt von einer Substanz vergangener Transformationen und die Modernisierung wird verzögert. Gleichzeitig geht ein Umbau nicht ohne Mitnahme der Gesellschaft, sprich einer Sozialpolitik, die beispielsweise Klimaschutz in Form eines Klimageldes abfedert. Hinzu kommt: Die Welt steht nicht still. China und die USA investieren Hunderte Milliarden in die Cleantech-Industrie, Indien, Kanada, Australien ziehen nach. Allein China hat 2023 mehr PV-Kapazitäten hinzugefügt als die USA in ihrer gesamten Geschichte. Das allein zeigt schon, wo die Schlüsselindustrien des 21. Jahrhundert liegen und wo welche sozial- und wirtschaftspolitischen Standards auf der Welt gesetzt werden.

Der Green Deal hat diese Idee verinnerlicht und versucht im Akkord über die Basis der Klimaneutralität und den Wiederaufbau einer intakten Umwelt ein Energie- und Wirtschaftssystem aufzubauen, das weltweit anerkannt und nachgeahmt wird. Dass dies ohne Investitionen nicht möglich ist, sollte allen Beteiligten klar sein und wird immer klarer, angesichts der drohenden Abwanderung von Meyer Burger oder dem Dresdener Solarmodulhersteller Solarworld. Das Ende der deutschen Solarindustrie kann dieses Jahr besiegelt werden, weil nicht investiert wird.

Doch anstatt über eine Reform der deutschen Schuldenbremse zu reden und auch europäisch darüber nachzudenken, wie wir den EU-Haushalt fitter für die Wirtschaftstransformation bekommen, wird einzig und allein mit dem Buzzword “Entbürokratisierung” geworben. Das allein wird aber nicht reichen, um das weltweite Wirtschaftsrennen zu bestreiten und es wird die sozialen Auswirkungen auf unsere Demokratie nicht abfedern können. Die Folge fehlender sozialer Sicherung: Angst und ein Rechtsruck.

Der Copy & Paste-Kurs der FDP

Denn das Erstarken von Rechtsextremen in allen Teilen des europäischen Kontinents geht unter anderem damit einher, dass Europa in schwierigen Situationen nie für seine Bürger*innen da sein kann, wie es die Nation kann. Brüssel überweist den Bürger*innen kein Klima- oder Kindergeld. Brüssel kann nur über Richtlinien oder Direktiven soziale oder wirtschaftliche Standards setzen und nationale Geldtöpfe unterstützen. Es ist daher ein Leichtes für nationale Regierungen gegen Brüssel und für sich selbst zu werben und es ist angesichts von solch komplexen Transformationen brandgefährlich, ein Mondprojekt wie den Green Deal als Bürokratiemonster oder Hürde für Wohlstand zu deklarieren.

Der Schritt der FDP hat aber auch noch andere Gründe: Ob bundes- oder landesweit, die FDP liegt in Umfragen danieder. Ihr vermeintliches Werkzeug: Sich mehr von der Ampel-Regierung abzugrenzen, was angesichts der Tatsache, dass sie regieren, eher verzweifelt als vielmehr nachhaltig durchdacht wirkt.

Gleichzeitig zeigen aktuelle Umfragen zur Europawahl: Wenn Sonntag die Wahl wäre, würde die rechtsextreme Fraktion ID die Renew-Fraktion der FDP von Platz 3 ablösen. Die konservative EVP-Fraktion liegt relativ stabil auf Platz 1 und damit ergibt sich erstmals in der Geschichte des EU-Parlamentes eine neue politische Mehrheit abseits des konservativ-sozial- bzw. des liberalen-Spektrums. Renew und damit die FDP wären weniger wichtig für die Mehrheitsfindung, die Themen würden kaum Gehör in der Kommission finden und wichtige Posten in der Kommission würden nicht an die Renew-Fraktion verteilt werden.

Dass das realistisch ist, zeigt auch der offensichtliche Rechtsruck der EVP unter ihrer Spitze Manfred Weber (CSU), der seit über einem Jahr hochoffiziell gegen alles prescht, was mit dem Green Deal zu tun hat – ungeachtet der Tatsache, dass der Green Deal von seiner Parteikollegin Urusla von der Leyen ins Leben gerufen wurde. Die FDP kopiert diesen Kurs, wohl in der Hoffnung Weber die Hand reichen zu können und gleichzeitig eine gemeinsamen Kurs mit ihrer ebenfalls schwächelnden Schwester-Partei in Frankreich zu finden.

Europa gestalten oder nicht – das ist die Frage

Damit aber macht sie zusammen mit Weber das salonfähig, was Rechte und Rechtsextreme seit Jahren von sich geben: Volle Kraft gegen den Green Deal sein, anstatt Verständnis zu schaffen und Brücken zu bauen, um aus der Mitte der Gesellschaft die Transformation anzupacken. Das Mondprojekt der energie- und wirtschaftlichen Transformation kann so nie vollendet, Biodiversitäts- und Klimakrise nicht eingedämmt und damit die  folgenden Katastrophen nicht verhindert werden. Die rechtsextreme ID, in der auch die AfD ist, relativiert oder ignoriert die Klimakrise. Biodiversitätskrise ist für sie vor allem ein Kampfbegriff gegen die Landwirtschaft und sowieso: „Europa der souveränen Völker“ anstatt ein angeblicher Einheitsbrei mit Verfassung und gemeinsamer Finanzpolitik.

Und so wird eine Politik gefahren, die das Verbrenner-Aus 2035 als ideologisch abstempelt, ungeachtet der Fakten, dass China bereits jetzt zum E-Autoexporteur aufsteigt, bei Solar- oder Windkraft schon ist, bei Wärmepumpen und Elektrolyseure für grünen Wasserstoff werden kann. Jede Neuregelung für Abgasnormen bei Autos, klaren Vorgaben für den Verbrauch von Pestiziden oder eben das Lieferkettengesetz wird dann als wirtschafts- oder bauernfeindlich abgetan, ohne zu verstehen, dass genau die Technologien und Produkte nachgefragt werden, die weltweit und in Europa nachgefragt werden.

In Deutschland zeigte bereits vor Jahren die Zukunftskommission Landwirtschaft auf, wie ein Übergang finanziell abgefedert werden kann und doch redet weder ein FDP-Finanzminister noch ein Grüner-Landwirtschaftsminister über eben genau das: Die Reform der Schuldenbremse und neue politische Wege abseits einiger Buzzwords.

Vom verstorbenen europäischen Vordenker und ehemaligen EU-Kommissionschef Jacques Delors stammt die bis heute zutreffende Unterscheidung zwischen zwei grundsätzlich unterschiedlichen Politiker*innen-Typen: “Diejenigen, die etwas sein wollen und diejenigen, die etwas realisieren wollen.” Und genau darum geht es für Europa und seinen Green Deal dieses Jahr. Dabei stellt sich die Frage, ob die Europawahl im Juni diesen Jahres ein Feuerwerk der Populist*innen wird, die nur etwas sein wollen oder ob diejenigen, die konstruktiv und zumeist freiheitlich-demokratisch agieren, den Green Deal weiter realisieren und gestalten wollen. Derzeit scheint es eher um die Rettung der eigenen Partei zu gehen, anstatt sich den Herausforderungen zu stellen.

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​Klimaneutral war gestern, denn der Zeitpunkt an dem sich der Klimawandel verselbständigt, wird schon bald erreicht sein. Die Erderwärmung wird erst dann wieder zum Stillstand kommen, wenn es gelingt, das Gleichgewicht zwischen Ausstoß und Senkung von Treibhausgasen nicht nur zu neutralisieren, sondern ins Positive zu wandeln. Klimapositivität ist daher das Gebot der Stunde,

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