Interview mit Evelyn Schönheit
Maßvoller Papiergebrauch zur Wald- und Klimaschonung

Leider wird noch immer viel zu viel Primärfaserpapier verbraucht und damit Wald vernichtet, der fürs Weltklima unverzichtbar ist. Die D/A/CH-Region gehört weltweit zu den zehn Spitzenreitern beim Papierkonsum. Mit durchschnittlich 241 kg pro Kopf und Jahr steht Deutschland mit an der Spitze der globalen Großverbraucher. Dabei betrug der Anteil grafischen Recyclingpapiers, laut dem Verband Deutscher Papierfabriken, im Jahr 2018, gerade mal 10 Prozent an der Gesamtproduktion von Büro- und Druckpapieren.

Umweltwissenschaftlerin Evelyn Schönheit, Bild mit freundlicher Genehmigung des ARD Bildarchivs

​Das war schon einmal anders. Als Mitte der 1980er Jahre saurer Regen unsere Wälder bedrohte, stieg der Anteil reiner Recyclingqualitäten bei den grafischen Papieren auf gut ein Drittel. In den letzten drei Jahrzehnten hat diese Sensibilisierung wieder nachgelassen. Ein Hauptgrund für die rückläufige Tendenz war und ist neben eigentlich unbegründeten ästhetischen Bedenken – wie so oft – der Preis. Recyclingpapiere im Druckbereich sind noch immer im Schnitt 10 bis 15 Prozent teurer als vergleichbare Primärfaserpapiere.

Auch die Verfügbarkeit von FSC- und PEFC- zertifizierten Papieren trug dazu bei, da diese Zertifikate Drucksacheneinkäufern und Agenturen fälschlicherweise vermitteln, solche Papiere seien ökologisch ebenso gut wie Blauer Engel Papiere. Dabei sind diese beiden Labels lediglich Waldbewirtschaftungszertifikate, die über die sog. Chain of Custody, die Produktkettenzertifizierung, ebenfalls für Papiere aus diesem zertifizierten Holz vergeben werden. Und auch wenn FSC durchaus das seriösere der beiden Zertifizierungssysteme darstellt: Beide Labels sagen – im Gegensatz zum Blauen Engel, der klare ökologische Kriterien für den Herstellungsprozess definiert – nichts über die Art und Weise der Papierherstellung aus.

Doch nicht nur die Verwendung von Recyclingpapier ist wichtig, sondern ebenso –  gerade wenn es bedruckt werden soll – ein umweltschonender Printprozess. Vorzugsweise sollte eine Druckerei, die Blauer Engel Papiere bedruckt, auch das Blauer-Engel-Zertifikat nach RAL UZ-195 besitzen. Nur Druckereien, die neben anderen Umweltzertifikaten das RAL UZ-195 vorweisen, haben einen umweltgerechten, klimafreundlichen und gefahrstofffreien Produktionsprozess in ihren Unternehmen implementiert. In der gesamten D/A/CH – Region gibt etwa zwanzig Druckereien, die diesem Anspruch genügen. Zehn dieser Druckereien, unter ihnen oeding print GmbH, Druckstudio GmbH, DBM Druckhaus Berlin-Mitte GmbH, Druckerei Lokay e. K., Ulenspiegel Druck GmbH, Druckerei Janetschek GmbH, Buchdruckerei Lustenau GmbH, bonitasprint GmbH, Kern GmbH, Schloemer & Partner GmbH haben sich im UmDEx/print-Projekt zusammengeschlossen, um angesichts der maßlosen Zerstörung der Wälder, der Klimaerhitzung und der globalen Ressourcenvernichtung ein wichtiges Zeichen für wirtschaftliche und soziale Umweltgerechtigkeit zu setzen.

Das Forum Ökologie & Papier – Streiter für einen verantwortlichen Umgang mit der Ressource Papier

Als Zusammenschluss von PapierexpertInnen engagiert sich das Forum Ökologie & Papier (FÖP) mit dem Verein Papier & Ökologie e.V. seit vielen Jahren für einen bewussten Umgang mit Papier und einen deutlich verringerten Verbrauch. Um die Grundbedürfnisse an Bildung, Kommunikation und Hygiene zu erfüllen, sind laut UN eigentlich nur etwa 40 Kilo Papier pro Kopf und Jahr nötig, statt der fast 250 Kilo, die landläufig als selbstverständlich angesehen werden. Doch dieser hohe Konsum ist ökologisch schon lange nicht mehr tragbar. Hätte China den gleichen Pro-Kopf-Verbrauch wie Deutschland, würde es nahezu die gesamte Weltproduktion an Papier verschlingen.

FÖP setzt sich daher für einen geringeren Verbrauch von Papier und einen höheren Einsatz von Altpapier ein. Ziel ist die Stärkung der Nachfrage nach Recyclingpapier mit Blauem Engel, um auf diese Weise zu vermitteln, dass Wald-, Arten- und Klimaschutz gerade beim Gebrauch des Alltagsprodukts Papier einfach und wirkungsvoll gelingen. Ansprechpartner sind deshalb Endverbraucher, Multiplikatoren und Entscheider.

FÖP berät Unternehmen, Organisationen und Behörden zur ökologischen Papierbeschaffung, schult Mitarbeiter und Multiplikatoren und begleitet die Umstellung auf Recyclingpapier in der Praxis. Ebenso hat sich das Forum als Ansprechpartner für komplexe Fachinformationen zum Thema Papier durch recherchierte Fakten und Hintergründe sowie Studien und Berichte einen Namen gemacht.

Seit vielen Jahren bietet FÖP Broschüren zum Thema, insbesondere die Publikation „Papier. Wald und Klima schützen“, die kostenfrei beim Umweltbundesamt bestellt werden kann – als kleines „Musterbuch“ für hohe Druckqualität und Farbbrillanz auf unterschiedlichen Recyclingpapieren mit Blauem Engel.

Interview mit Evelyn Schönheit

Wir freuen uns, dass sich die Expertin des Forums Ökologie & Papier, die Umweltwissenschaftlerin Evelyn Schönheit, zu einem Interview über das Thema Recyclingpapier mit uns bereit erklärt hat.

Umweltwissenschaftlerin Evelyn Schönheit in der Sendung Planet Wissen, Bild mit freundlicher Genehmigung des ARD Bildarchivs

Guido Rochus Schmidt: Papier spielt – als wichtigstes Verbrauchsmaterial – eine entscheidende Rolle bei Ressourcenschutz, Energieeinsparung und CO2-Reduktion. Welche konkreten Maßnahmen zu Verringerung des Papiereinsatzes schlagen Sie vor?

Evelyn Schönheit: Na, wenn wir über Büro sprechen, dann auf jeden Fall doppelseitiges Kopieren. Die Maßnahme ist einfach und effektiv – auf unserem Weg zu einer Halbierung des Papierverbrauchs, wie sie große Umweltverbände schon vor Jahren forderten. Außerdem bietet sich bei Korrespondenz, z. B. auch mit Bank, Versicherung, Krankenkasse & Co., die Umstellung von gedrucktem Brief auf Mail bzw. digitales Postfach an. Etwa Kontoauszüge zusammengefasst im monatlichen PDF zu erhalten, empfinde ich als enorme Arbeitserleichterung: Wenn ich bestimmte Posten für die Umsatzsteuer raussuchen muss, geht es deutlich schneller als früher mit den vielen einzelnen Ausdrucken von der Bank. Auch Korrekturlesen am Bildschirm dürfte inzwischen zum Standardrepertoire gehören. Und ob im Büro oder an anderen Stellen, empfehlen wir auf jeden Fall das konsequente Abbestellen unerwünschter Kataloge und Prospekte. Per kurzem Anruf oder Mail mit der Aufforderung: „Bitte nehmen Sie mich aus Ihrem Verteiler“.

Guido Rochus Schmidt: Welche Möglichkeiten gibt es für Endverbraucherinnen und Endverbraucher, den alltäglichen Papierverbrauch zu reduzieren?

Evelyn Schönheit: Da denke ich sofort an ein gängiges Beispiel, das ich kürzlich beim Einkaufen auf dem Markt erlebt habe: Warum muss der neue Verkäufer am Bio-Stand den KundInnen ohne zu fragen zwei Möhren in eine Papiertüte packen? Dies lässt sich leicht verhindern durch mitgebrachte Stoffbeutel, Körbe oder den Rucksack. Ebenso können Salatnetze oder Vorratsbehälter-Dosen in verschiedenen Größen – z. B. für Käse – Einweg-Verpackungen an den meisten Stellen komplett ersetzen. Und braucht man wirklich Küchenrollen? Das ist nur eine Frage der Gewohnheit, wer mal daraus ausbricht, merkt wie viele gute Mehrweg-Alternativen es gibt. Gleiches gilt für Servietten: bitte aus Stoff mit Fasern aus Ökolandbau. Und natürlich sind Einweg-Becher, Pappteller & Co. ein No-Go! Wer weitere Tipps sucht, wird fündig bei der Papierwende .

Guido Rochus Schmidt: Seit März 2020 gelten für den Blauen Engel neue Vergabekriterien. Unter anderem wurde der maximale Weißegrad nach DIN ISO 11475 auf eine CIE Weiße von 135 begrenzt. Der Trend zu immer weißeren Recyclingpapieren soll damit gestoppt werden. Die Ästhetik der meisten Printbuyer verlangt aber explizit höhere Weißegrade auch bei Recyclingpapieren. Was muss sich hier Ihrer Meinung nach ändern?

Evelyn Schönheit: Das Gesamtverständnis für die Klima-und Artenkrise mit ihren katastrophalen Folgen muss sich ändern. Es muss dringend ein Verständnis dafür entwickelt werden, dass ein immer schneller, immer höher, immer weiter – und dazu gehört auch immer weißer – für ein zerstörerisches System steht, das die natürlichen Grenzen nicht respektiert. Jahrzehntelang standen ästhetische Ansprüche beim Drucken oder z. B. auch im Büro einer Umstellung von Primärfaserpapier auf Recyclingpapier im Weg, damit wurden Chancen für aktiven Waldschutz verschleppt. Es wird zu viel Holz aus dem durch die Klimakrise ohnehin geschwächten Wald entnommen, es werden Waldökosysteme durch profitorientierte Forstwirtschaft zerstört, von Plantagen also industriellen Baummonokulturen ganz zu schweigen.

Deutschland ist viertgrößter Konsument von Papier in absoluten Zahlen und drittgrößter Pro-Kopf-Verbraucher – und wir sind auch das Land, das durch unsere Art zu leben und zu wirtschaften drei Erden verbraucht. Hallo! Wie soll das gehen? Zum Glück werden diese Zusammenhänge immer mehr Menschen bewusst und von den Medien thematisiert. Aber vom Wissen zum Handeln führt kein Automatismus, zumal dann nicht, wenn Wirtschaft und Politik immer weiter auf Wachstum setzen. Hier brauchen wir eine grundlegende Veränderung, eine Lebensweise, die sich am Gemeinwohl ausrichtet – eine sozial-ökologische Transformation. Dafür muss endlich entschlossen gehandelt werden, uns bleibt so wenig Zeit.

Was hat es dabei mit dem Weißegrad von Recyclingpapier auf sich? Der Großteil des Altpapiers sind untere und mittlere Sorten, z. B. aus den Haushalten. Um sehr weiße Recyclingpapiere herzustellen, werden aber gerade auch bessere Altpapiersorten, z. B. Randbeschnitte aus Druckereien, benötigt, die am Markt knapp sind und vielfach importiert werden. Hinzu kommt, dass der Bereich der grafischen Papiere rückläufig ist, während die braunen Verpackungspapiere zunehmen, so dass auch hier zusehends weniger helle Altpapiere anfallen. Leicht dunklere Recyclingpapiere auszuwählen ist demzufolge ein Ausdruck von Umweltbewusstsein, mit dem Ziel Transporte zu verringern, mehr Altpapiere auch für hochwertige Nutzungen einsetzen zu können, das Faserleben – also die Anzahl der Recyclingdurchläufe – zu erhöhen und damit den Papierkreislauf insgesamt zu stärken. Im Übrigen sind auch Recyclingpapiere nach den neuen Weißegrad-Begrenzungen schon so hell, dass sie jeden Test neben Primärfaserpapieren bestehen können.

Es geht nach unserer Auffassung bei allem darum, dass wir uns – ob WirtschaftsvertreterInnen, PolitikerInnen oder VerbraucherInnen – viel stärker darauf besinnen, was wirklich wichtig ist, welches unsere Lebensgrundlagen sind. Wenn wir weiter so rücksichtslos und unverantwortlich umgehen mit der Erde und dem Leben, fahren wir in die Katastrophe. Ohne grundlegendes Umsteuern sei „unsägliches menschliches Leid“ nicht mehr zu verhindern, warnen Tausende WissenschaftlerInnen. Deshalb sind alle Maßnahmen, die zu einer Umweltentlastung führen, zu ergreifen. Im Papierbereich lässt sich dies auf der Verbraucherseite vergleichsweise einfach umsetzen. Und auch die Industrie muss dazu gebracht werden.

Guido Rochus Schmidt: Die entsprechende EU-Ecolabel-Richtlinie Nr. 028 „Druckerzeugnisse“ fordert bei Produktionsmaterialien wie Papier, Farbe und Druckhilfsmitteln hohe Standards. Druckereien, die nach diesem Label zertifiziert sind, müssen überprüfbare umweltgerechte Produktionsprozesse nachweisen. Um welche Kriterien müsste dieses Zertifikat erweitert werden?

Evelyn Schönheit: Um den Einsatz von 100 % Altpapier. Denn der Schutz der Waldökosysteme weltweit muss an allererster Stelle stehen. Als eine der wirkungsvollsten Maßnahmen für den längst überfälligen, beherzten Arten- und Klimaschutz.

Papier bietet aufgrund seiner Beschaffenheit und Herstellung gleichzeitig mehrere Ansatzpunkte, der globalen Arten- und Klimakrise entgegen zu treten: Durch Einsparungen und Wahl von Recyclingpapier kann Holz im Wald verbleiben, der Nutzungsdruck auf die Wälder wird reduziert, was gerade in Anbetracht der fatalen Auswirkungen der letzten Sommer, wo extreme Hitze und Trockenheit großflächig Bäume absterben ließen, dringend geboten ist. Wald muss als Ökosystem begriffen und geschützt werden. Die Anreicherung von Biomasse, Totholz und Humus bewirken nicht nur CO2-Speicherung sondern auch Kühlungseffekte und erhöhte Bodenfeuchtigkeit. Und Waldschutz bedeutet natürlich direkten Artenschutz, denn rund zwei Drittel aller Tier- und Pflanzenarten leben im Wald. Außerdem reduzieren Recyclingpapiere den Energie- und Wasserverbrauch gegenüber Primärfaserpapieren erheblich, ebenso wie den Chemikalieneinsatz.

Guido Rochus Schmidt: Sie sagen, dass durch die FSC-Zertifizierung von Holz, und damit auch von Papieren aus zertifiziertem Holz, der Druck auf das Ökosystem Wald nur unwesentlich verringert wird. Was müsste Ihrer Meinung nach an diesem Zertifizierungssystem geändert werden, damit es diesen Anspruch erfüllt?

Evelyn Schönheit: Unsere Aussage bezieht sich nicht grundsätzlich auf die FSC-Zertifizierung, die sehr differenziert zu betrachten ist, sondern zugespitzt auf FSC-Papiere: Am Markt finden Sie überwiegend solche mit FSC Mix Siegel, wobei es sich um reine Primärfaserprodukte handelt. Der Druck auf den Wald bleibt dadurch bestehen, weil kein Altpapier verlangt wird.

Und während z. B. in Deutschland die FSC-Standards hervorragend sind, zumal wenn sie wie im Lübecker Stadtwald umgesetzt werden, gelten die FSC-Regularien insbesondere in Russland als deutlich zu schwach. Aber auch in Schweden wurde das Zertifizierungssystem in der Vergangenheit vielfach kritisiert, weil es die Abholzung besonders wertvoller Bestände durch FSC-zertifizierte Unternehmen zuließ. 2018 ist Greenpeace aus dem FSC ausgetreten, vor allem da der Einschlag von Primärwald z. B. in Russland nicht verboten ist.

Dennoch wird der FSC nach wie vor von den Umweltverbänden als das internationale System anerkannt, das den ökologischen und sozialen Anforderungen am nächsten kommt. Deshalb fordern wir vom Forum Ökologie & Papier eine stete Weiterentwicklung und Verbesserung mit dem Ziel, Urwald konsequent zu schützen und industrielle Baumplantagen in arten- und strukturreiche Wirtschaftswälder zu überführen. Und der FSC muss die Papierhersteller zu umfassender Transparenz verpflichten, woher die jeweiligen Holzfasern stammen – aus welchen Ländern und Bewirtschaftungsformen.

Was Möbel und Bauholz betrifft, so empfehlen wir neben dem Naturland Zeichen – als bester Zertifizierung für eine ökologische Waldnutzung, das aber leider am Markt selten zu finden ist – an zweiter Stelle FSC aus regionaler Herkunft.

Guido Rochus Schmidt: Der FSC akzeptiert ja laut dem Geschäftsführer des FSC Deutschland, Herrn Dr. Uwe Sayer, die höhere Wertigkeit von Blauem Engel gegenüber dem FSC Recycled – Label. Dennoch erachtet er das FSC-Label für Länder, in denen kein Blauer Engel existiert, als sinnvolle Alternative. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?

Evelyn Schönheit: Dem schließen wir uns vom Forum Ökologie & Papier an, soweit es FSC Recycled betrifft. Allerdings wäre es sinnvoll, dabei die Papierherstellung mit in den Blick zu nehmen: FSC ist ja ein reines Zertifizierungssystem für die Waldbewirtschaftung. Beim Papier ist aber natürlich auch der Chemikalieneinsatz eine entscheidende ökologische Größe. Anders als der strenge Blaue Engel, enthält die FSC-Zertifizierung dazu keine Kriterien.

Guido Rochus Schmidt: Welche Papiersiegel erachten Sie neben dem Blauen Engel für sinnvoll?

Evelyn Schönheit: Wir empfehlen bewusst nur den Blauen Engel, denn beim Papier bleibt 100 % Altpapiereinsatz die wichtigste Stellschraube. Nur wenn es für Spezialanwendungen kein Engel-Produkt gibt, steht an zweiter Stelle FSC Recycled. Außerdem gibt es im Schulbereich noch das ÖKOPAplus-Siegel, das nur für Produkte vergeben wird, die mit dem Blauen Engel ausgezeichnet sind. Es ist allerdings kein staatliches Siegel, sondern die Kennzeichnung eines engagierten Herstellers.

Guido Rochus Schmidt: Seit 2013 verlangt die EU mit der EUTR-Verpflichtung Nachweise, dass importierte Papiere und Papierprodukte keine Tropenholz-Anteile enthalten. Ist diese Verpflichtung ausreichend?

Evelyn Schönheit: Unter die EU Holzhandels-Verordnung sowie das Holzhandels-Sicherungs-Gesetz, mit dem die Bundesrepublik die EU-Verordnung umgesetzt hat, fallen zwar Zellstoff und Papier, nicht aber Druckerzeugnisse wie Zeitschriften oder Bücher. So müssen z. B. Verlage, die Bücher in China produzieren lassen, nicht nachweisen, woher das Holz dafür stammt. Diese Lücke gilt es zu schließen.

Die Verordnung fordert, dass alle Händler, die Holz oder Holzprodukte innerhalb der EU erstmals auf den Markt bringen, nachweisen, dass ihre Produkte legal geschlagen und gehandelt wurden. Umweltorganisationen kritisieren jedoch, dass die Definition für Legalität in verschiedenen Ländern auch die Rodung von Urwaldflächen beinhalten kann. Zudem würden Rechte der indigenen Bevölkerungen sowie ungelöste Landrechtskonflikte nicht berücksichtigt.

Eine weitere Schwäche besteht darin, dass das Gesetz Strafbarkeit nur für Fälle vorsieht, in denen große Vermögensvorteile erzielt wurden oder beharrliche Wiederholungen erfolgten. Ansonsten werden nur „Ordnungswidrigkeiten“ mit Bußgeldern bis maximal 50.000 € geahndet, meist aber deutlich darunter. Jüngst bemängelte der WWF, dass nur etwa ein Prozent aller Holzfirmen in Deutschland jährlich kontrolliert und Verstöße – wenn überhaupt – nur mit Strafen von ein paar hundert Euro geahndet würden. Auch würden „Erstinverkehrbringer“ vielfach die Schuld auf ihre Lieferanten abwälzen. Hier sind also dringend Nachbesserungen auf mehreren Ebenen nötig.

Guido Rochus Schmidt: Mittlerweile gibt es ja auch Papiere mit Beimischungen aus Stroh, Algen und Gras. Sind das Ihrer Meinung nach sinnvolle Alternativen zum Holzzellstoff, bzw. zum Papier-Recycling?

Evelyn Schönheit: Es sind bisher eher Nischenprodukte: 2017 machten alternative Faserrohstoffe nur etwas mehr als 2 Prozent des Faserverbrauchs der globalen Papierindustrie aus, gegenüber 184 Millionen Tonnen Primärfasern und 249 Millionen Tonnen Sekundärfasern. Der Großteil wurde in Asien eingesetzt, wo alternative Pflanzenfasern eine starke Tradition haben.

Sinnvoll kann die Nutzung von Nicht-Holzfasern dann sein, wenn es sich tatsächlich um Erntereste aus der Landwirtschaft handelt, etwa von Getreide oder Reis, die nicht anderweitig von den Menschen vor Ort benötigt werden, z. B. als Einstreu bei der Tierhaltung, Dünger oder Brennmaterial.

Dabei ist zu bedenken, dass im ökologischen Landbau möglichst geschlossene Betriebskreisläufe bestehen. Die bislang vorherrschende Agroindustrie, mit großen Mengen z. B. an Stroh-“Abfall“, ist ja nicht das System, das angesichts Klima- und Artenkrise unterstützt und fortgeführt werden soll. Außerdem müssen für jeden Faserrohstoff unbedingt die Wiederverwendbarkeit der Fasern und die Deinkbarkeit für ein qualitativ hochwertiges Recycling gewährleistet sein. Hierzu fehlen z. T. die Erfahrungen aufgrund der geringen Mengen bzw. der erst seit Kurzem angelaufenen Produktionen.

Guido Rochus Schmidt: Viele Druckereien werben auf ihren Homepages mit der Verarbeitung von Blauer Engel-Papieren. Oft sind dies Druckereien, die keine oder sehr wenig echte Umweltleistungen in ihren Unternehmen eingeführt haben. Welche Kriterien muss, Ihrer Ansicht nach, eine Druckerei erfüllen, um seriöse nachhaltig produzierte Druckprodukte anbieten zu dürfen?

Evelyn Schönheit: Zunächst fordert der Blaue Engel für Druckerzeugnisse ja über die Papierkriterien hinaus ökologische Druckverfahren, Ausschluss schädlicher Substanzen wie Mineralölbestandteile und Lösemittelemissionen, ein Energie- und Umweltmanagement sowie Deinkbarkeit der Produkte. Darüber hinaus sollten die Druckereien nach unserer Überzeugung Ökostrom beziehen (s. https://www.robinwood.de) sowie öko-faire Gebrauchs- und Büromaterialien. Die Fahrten der Mitarbeiter*innen gilt es möglichst per Rad, ÖPNV bzw. Bahn zu organisieren, Auslieferungen über Sammeltouren und natürlich – wo immer umsetzbar – mit Mehrwegverpackungen.

Außerdem sollten die Druckereien den KundInnen proaktiv Recyclingpapier mit Blauem Engel empfehlen. Dazu gehört, dass sie Erfahrung haben, um mit tollen Druckbeispielen auch kritische AuftraggeberInnen zu überzeugen. Und die MitarbeiterInnen in den Druckereien müssen die wichtigsten Zusammenhänge kennen, um gut darlegen zu können, warum sparsamer und bewusster Umgang mit Papier und die Wahl von Recyclingpapier so entscheidend sind für den Wald-, Arten- und Klimaschutz ebenso wie hinsichtlich sozialer Folgen. Mit Blick auf begrenzte, wertvolle Ressourcen gehört es aus unserer Sicht natürlich unbedingt auch dazu, KundInnen zu niedrigerer Auflage und Papiereinsparungen zu motivieren – gerade das macht moderne, zukunftsfähige Druckereien aus, schafft Vertrauen und Weiterempfehlungen.

Und im Optimalfall erstellt die Druckerei noch eine Bilanz nach dem Modell der Gemeinwohl-Ökonomie.

Guido Rochus Schmidt: Wir danken Ihnen für diese interessanten Informationen.

Evelyn Schönheit: Ich danke Ihnen für Ihr redaktionelles Interesse.

Für interessierte Leser und Leserinnen empfehlen wir den Beitrag mit Umweltexwissenschaftlerin Evelyn Schönheit in der Sendung Planet Wissen des Bayerischen Rundfunks: Papier: Wunderstoff oder reif für die Tonne

https://www.planet-wissen.de/video-papier–wunderstoff-oder-reif-fuer-die-tonne-100.html

 

 

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Guido Rochus Schmidt

Guido Rochus Schmidt

Autor, Redakteur, Experte für die Nachhaltige Medienproduktion, Lobbyist für die Nachhaltige Transformation

Guido Rochus Schmidt war von 1979 bis 2013 Geschäftsführer der Ulenspiegel Druck GmbH, einer der bis heute ökologischsten Druckereien Europas, seit 1999 mit EMAS zertifiziert. Als Umweltexperte betreute er von 1999 bis 2017 die ökologische Fortentwicklung des Unternehmens. Seit 2017 berät der Experte Unternehmen bei allen Fragen der Nachhaltigen Medienproduktion.

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Lobbyismus gegen Nachhaltigkeit
Die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Ausbau der Industrialisierung, die Ignorierung der Umweltverschmutzung durch naturschädliche Nahrungsmittelproduktion und die Ausbeutung natürlicher Rohstoffe hält unverändert an. Daher werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht sein.

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