Marktwirtschaftliche Solidarität
Kaffeebauern und -bäuerinnen lernen Produktverpackungen drucken
„Von allen Berufen bevorzuge ich den Druck, weil er am meisten zur Würde des Menschen beigetragen hat.“ Dieses Zitat stammt von José Martí. Er war der bedeutendste kubanische Schriftsteller und Nationalheld. Seine Vereinigung der kubanischen Emigrantengemeinschaft, insbesondere in Florida, war entscheidend für den Erfolg des kubanischen Unabhängigkeitskrieges gegen Spanien. Er war die Schlüsselfigur bei der Planung und Durchführung dieses Krieges und auch der Gestalter der kubanischen Revolutionspartei und ihrer Ideologie. Von ihm stammt auch der Text des weltbekannten Liedes Guantanamera und erzählt die Geschichte eines Mädchens aus Guantánamo aus der Sicht eines kubanischen Revolutionärs.
Originalplakat des Zitats von José Martí, Bildquelle: Druckerei Pana Import, Kuba
Originalplakat des Zitats von José Martí, Bildquelle: Druckerei Pana Import Kuba
Die Wurzeln der sozialökonomischen Bewegung
Ob die aktuelle Diskussion zur Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten (EUDR, Deforestation Regulation) oder das Lieferkettensorgfaltsgesetz. Migration und militärische Konflikte – dies inmitten einer Erderwärmung in einem klimahistorisch nie dagewesenem Tempo. Nie betrafen die aktuellen Konflikte rund acht Milliarden Menschen. Migration ist eine der Folgen, denn: Wir können eine EU-Außengrenze von 14.303 bzw. eine deutsche Grenze von knapp 4.000 Kilometern real nicht schützen.
Diese und weitere Krisen sind hausgemacht. Schon in den 70er- und 80er-Jahren hat u. a. der Club of Rome eindringlich und präzise vor diesen Schwierigkeiten gewarnt. Unterm Strich gibt es nur eine Wahrheit.
Ist die Lösung all dieser Probleme gleich eine grüne Diktatur? Oder sind Regeln des Green Deals zwingend nötig? Die EU z. B. hat mit rund 500 Millionen Einwohner:innen keine geringe Verantwortung für die globalen Waldverluste. Der EU-Import von Soja, Rindfleisch, Palmöl, Holz, Kaffee und Kakao führte zu 16 Prozent der globalen Tropenwaldabholzung. Schlimmer ist nur noch China.
In den Direktiven des Green Deals finden sich auch wesentliche Passagen zur Bekämpfung von Fluchtursachen, abgesehen von der Erderwärmung in klimahistorisch nie dagewesenem Tempo. Nie betrafen die aktuellen Konflikte rund acht Milliarden Menschen.
Das ist alles nicht neu
Der Club of Rome warnt schon seit 1972, etwa im Buch „The Limits To Growth“, vor den Folgen der wirtschaftlichen Zerstörung von Ökosystemen und vor dem Zünglein an der Klima-Waage durch gigantische menschliche CO₂-Einspeisungen in die Atmosphäre. Viele der dystopischen Warnungen haben sich leider bewahrheitet. Die Ausbeutung der dritten Welt und der Klimawandel sind ursächlich für eine außergewöhnlich starke Wanderung von Menschen in den reichen Norden. Migration ist in aller Munde. Der reiche Westen selbst ist es, der viele der aktuellen Probleme erst erschaffen hat.
Die Wurzeln der sozialökonomischen Bewegung
Ende der 60er-Jahre begann der politische der Marsch durch die Institutionen (68er-Bewegung), hin zu mehr sozialer und ökologischer Vernunft und Weitsicht. Seinerzeit gegen jedes Verständnis der globalen Wirtschaften. Viele heutige ESG-Anforderungen, und daraus resultierend auch viele der im Rahmen des EU Green Deals entstandenen Direktiven, wurden in dieser Zeit vorgedacht – gegen schwere Widerstände der damaligen Politik und Wirtschaft.
Der Autor
Guido Rochus Schmidt hat zwischen 1978 und 2013 die seinerzeit bekannteste nachhaltig fokussierte Druckerei „Ulenspiegel Druck und Verlag GmbH“ im bayerischen Andechs mitbegründet und geleitet. Er zählt zu den Vorreitern und Urvätern der heutigen sozialökonomischen (ganzheitlichen) Medienproduktion. Ulenspiegel Druck war die erste mit EMAS-zertifizierte Druckerei und zählte auch beim Blauen Engel für Druckprodukte zu den ersten Dienstleistern, die Druckprodukte entsprechend zertifizieren durften.
Guido Rochus Schmidt dachte und handelte im Sinne der 68er-Bewegung, die ihren so bezeichneten Marsch durch die Institutionen in den 1970 Jahren begann. Diese Bewegung verschmolz in den 80er Jahren mit den Zielen internationaler Umwelt-NGOs. Erst später öffneten sich zunehmend auch Wirtschaftsverbände- und Bündnisse und übernahmen entsprechende Positionen.
Viele heute relevante und gültige Normen und Standards wie das Greenhouse Gasprotokoll, ISO-Normen, das ESG-Universum und Ideen der heutigen SDGs wurzeln in dieser Zeit.
Weltbank-Chef Ajay Banga warnte jüngst in Hamburg vor Hundertmillionen von Flüchtlingen aus dem globalen Süden
Es entstanden Kooperationen zwischen der Industrie und allen Legislativen der westlichen Machtblöcke wie der EU oder den USA. Der Wandel, hin zu einer sozialgerechten und ökonomisch vernünftigen Weltwirtschaft zieht sich bis heute hin.
Die Denkschule, die Schmidt in den 1980er-Jahren aus Überzeugung vertrat, erschien vor 40 Jahren jedoch eher skurril, weltfremd und radikal. Diese Wurzeln des heutigen ESG wurden zu dieser Zeit eher geächtet als adaptiert. Aufgrund der Arbeitsmarktlage im globalen Süden, warnte Weltbank-Chef Ajay Banga im Oktober 2024 davor, werden über 1,2 Milliarden Menschen des globalen Süden nach Jobs suchen. Es werden aber nur rund 400 Millionen Stellen geschaffen. Hundertmillionen Menschen werden sich auf den Weg in den globalen Norden machen.
Anstelle den globalen Süden am Wohlstand teilhaben zu lassen, was eine fundamentale Lösung wäre, wählen wir eine Utopie von Grenzkontrolle und Abschottung. Experten rechnen allein in Deutschland mit üb er zehn Millionen größtenteils illegalen Migrant:innen bis 2030. Allein in Deutschland.
Viele der Kaffeeplantagen und kleinen Dörfer der indigenen Kaffeebauern und -bäuerinnen liegen hoch an den Hängen der Sierra Mazateca, einer ländlichen Bergregion im mexikanischen Bundesstaat Veracruz. Das indigene Volk der Mazatec stellt in diesem abgelegenen und unzugänglichen Teil des Landes die Mehrheit der Bevölkerung. Die Bauern und Bäuerinnen stehen hier vor vielen produktbedingten Herausforderungen.
Aufgrund der großen Höhenlage ist es in der Sierra Mazateca nachts ziemlich kalt, was zusammen mit der dichten Bewaldung zu geringen Ernteerträgen führt. Ein Großteil des in dieser Region angebauten Pflanzenbestands ist sehr alt, vor allem die traditionellen Kaffeesorten Typica und Bourbon. Hinzu kommt, dass diese alten Kulturpflanzen besonders anfällig für Krankheiten sind, was ebenfalls die Kaffeebohnenernte mindert.
Außerdem sprechen viele der ländlichen Bewohner:innen nur die alte Sprache „Mazatec“ und verstehen kein Spanisch, sodass die Campesinos kaum einen eigenen Zugang zum Markt und zu zuverlässiger agronomischer Beratung haben. Nur über erfahrene Dolmetscher:innen und Zwischenhändler von außen können die Kaffeebauern und -bäuerinnen einen geringen Einfluss auf die Märkte nehmen.
All das führte dazu, dass die Erträge in der Sierra Mazateca oft nur 100 kg pro Hektar betrugen, verglichen mit den kolumbianischen Erträgen von 2400 kg pro Hektar.
Aufgrund der besonderen Struktur des internationalen Kaffeehandels haben Kleinbauern in Anbauregionen wie der Sierra Mazateca wenig Chancen, ihre Wertschöpfung zu steigern und dadurch höhere Einkommen zu erzielen.
Widerstand gegen kapitalistische Wertschöpfung
Laut einer Studie wird ein immer größerer Anteil der Wertschöpfung im Kaffeemarkt mit der Kaffeeverarbeitung, vor allem mit der Veredelung zu Röstkaffee erwirtschaftet. Aber auch hier fehlten in der Sierra Mazateca die entsprechenden Maschinen, sowohl zur Weiterverarbeitung wie auch zur Herstellung der Verpackungen des Endprodukts vor Ort. Zusammen mit der mangelhaften individuellen Vermarktung durch die indigenen Erzeuger, mindert all das die regionale Wertschöpfung der Kaffeeproduktion in erdenklichen Maßen.
Hinzu kam in den 1980er Jahren der ständig schwankende Marktpreis, die Abhängigkeit von Zwischenhändlern und schließlich der bodenlose Fall des Kaffeepreises im Jahr 1988. Zurück blieben die Schulden bei den Kaffeebauern und -bäuerinnen.
Viele Bauern und Bäuerinnen begannen deshalb, sich in der politischen Bauernorganisation „Unión de Uniones“ zu organisieren. Die Unión war anfangs sehr erfolgreich. Aus ihr ging bald eine Kreditunion hervor. Dies ermöglichte den legalen Kauf von weiteren Ländereien. Unterstützt von städtischen Berater:innen begannen einige Gemeinden, sich kollektiv im Kaffeeanbau zu organisieren.
Internationale Solidarität
Zu Beginn der 1970er Jahre entstanden aus Protesten gegen wachsende Ungerechtigkeiten im Welthandel kirchlich organisierte Eine- oder Dritte-Welt-Läden. In verschiedenen Ländern begannen kleine Zusammenschlüsse den direkten Handel von Lebensmitteln zu organisieren und diese auf Märkten oder in Kirchengemeinden zu vertreiben. Produkte wie Bananen, Tee oder Kaffee wurden von Kooperativen aus Ländern des globalen Südens bezogen, mit denen die Handelnden persönlich im Kontakt standen.
Über die Jahre verfestigten sich die Kontakte. Knowhow wurde durch Besuche bei den Kooperativen ausgetauscht, individuell die Preise verhandelt und langfristige Handelsbeziehungen geschmiedet. Die fast ausschließlich unentgeltlich arbeitenden Händler:innen hatten zum Ziel, mittels des Verkaufs von Produkten auch über den ausbeuterischen Handel mit den Produzenten des globalen Südens aufzuklären und den konventionellen Handel grundsätzlich zu verändern bzw. abzuschaffen.
Ende der 70er Jahre begannen sich auch politische Gruppen aus der internationalistischen Solidaritätsarbeit zunehmend im Kaffeehandel zu betätigen: Erstmalig wurde 1980 nicaraguanischer Kaffee in Deutschland verkauft, um mit dessen Erlösen die Kleinbauer:innen zu unterstützen, die gemeinsam mit den Sandinisten gegen die Somoza-Diktatur (Sturz 1979) kämpften.
Die u.a. über GEPA und Ökotopia vertriebene sogenannte „Sandino-Dröhnung“ wurde vor allem aus Solidarität getrunken.
Im Fokus dieser Handelsbeziehungen standen insbesondere eine politisch gesellschaftsverändernde Perspektive und die Fragestellung, wie arme, von Diktaturen unterdrückte und militärisch bekämpfte Gruppierungen effektiv in ihrem Widerstand unterstützt werden können. Folglich ging mit dem Aufruf, bestimmten Kaffee zu kaufen, nicht selten auch die direkte Unterstützung von Handelsbeziehungen und sozialen Protesten einher.
Dem Erfolg dieser beiden Bewegungen, der kirchlichen wie auch der politisch internationalen Solidaritätsarbeit, ist es zu verdanken, dass sich immer mehr Endverbraucher:innen fanden, sich die Weltläden verbreiteten und sich lokale Initiativen zu Netzwerken zusammenschlossen, um Kaffee aus diesen Regionen zu verkaufen.
Zeitgleich mit dem Niedergang regionaler Wirtschaftsmodelle begann der Siegeszug der neoliberalen Globalisierung und eine zunehmend stärkere Entgrenzung der Märkte.
Neue Regionalkonflikte und Kriege verschlechtern zudem die globalen Lebensbedingungen ebenso drastisch, wie die Folgen der Klimaveränderung. Der Raubbau von natürlichen Ressourcen in immer abgelegeneren Gebieten der Welt wuchs.
Vor diesem gesellschaftspolitischen Hintergrund begann ich in den 1980er Jahren, als Geschäftsführer und Umweltbeauftragter der bayrischen Ulenspiegel Druck und Verlag GmbH & Co. KG, mich mit der Problematik der indigenen, regionalen Produktionsverhältnisse zu beschäftigen.
Zudem war ich, aufgrund der schriftstellerischen Recherche für meinen ersten Roman „Die Soldaten der Jungfrau“, der die Geschichte des erfolgreichen Aufstands mexikanischer Ureinwohner gegen die Spanier im ausgehenden 16. Jahrhundert beschrieb, viele Monate im Süden Mexikos unterwegs.
Wenn Print die Welt besser macht
Dort lernte ich 1984 die Schweizer Sozialistin, Anthropologin und Umweltaktivistin Gertrude Duby-Blom kennen, die im Jahr 1940 aus einem Konzentrationslager der Nazis entkam und nach Mexiko flüchtete. Sie verschaffte mir den Kontakt zu einem einheimischen Pfarrer, der im südlichen Bergland indigene Kaffeebauern und -bäuerinnen versorgte und diese gegen die Landbarone für die sie arbeiteten, unterstützte. Er brachte mich in eine der Gemeinden der Mazatec und stellte mich dort dem Alcalde (Bürgermeister) der Gemeinde vor.
Ich blieb mehrere Wochen dort und sah, unter welch schlechten Bedingungen sie arbeiten mussten. Die Ernte der Bohnen, die aufwendige Trocknung und die Verpackung in Jutesäcke waren Handarbeit, für die die Bauern und Bäuerinnen kaum bezahlt wurden. Mit dem Pfarrer diskutierte ich, welche produktiven lokalen Veränderungen den Campesinos helfen würden, ihren Lebensunterhalt zu steigern. Als er erfuhr, dass ich in Deutschland als Drucker arbeitete, erklärte er mir, dass schon durch die Verpackung des Endproduktes ihre Marktchancen erheblich verbessert werden. Mit dieser Erkenntnis fuhr ich wieder nach Hause.
Ein Plan setzt sich fest
Gemeinsam mit meiner Lebensgefährtin Irene Mayer-Eschenbach, mit der ich 1978 die Ulenspiegel Druck und Verlag GmbH gegründet hatte, und die ebenfalls als Geschäftsführerin das Unternehmen leitete, diskutierten wir einen Plan, was wir unternehmen könnten, um die Marktchancen der indigenen Kaffeebauern und -bäuerinnen in der Sierra Mazateca zu verbessern.
Unsere Druckerei arbeitete seit einigen Jahren ohnehin für die internationale Solidaritätsbewegung. Zum Beispiel haben wir für die salvadorianische Befreiungsbewegung Frente Farabundo Marti, Flugblätter und Manifeste hergestellt. Es lag also auf der Hand, auch die Kaffeekooperativen in der Sierra Mazateca drucktechnisch zu unterstützen.
Über die Schweizer Umweltaktivistin Gertrude Duby-Blom hielten wir Kontakt zu dem Pfarrer, der in den Ejidos (Gemeinden) der Mazatec lebte, und der mir schon bei meinem ersten Besuch erklärt hatte, dass sich durch die Option des Verpackungsdrucks für den Kaffeevertrieb, das Marketing der Kaffeekooperativen erheblich verbessern lässt.
So fing alles an
Wir trafen uns mit Mitarbeiter:innen des Münchner Ökumenischen Büros für Frieden und Gerechtigkeit, und erklärten dort, was wir vorhatten. Sie verschafften uns Kontakte zur Evangelischen Kirche, die uns daraufhin zusicherte, uns finanziell zu unterstützen.
1983 kauften wir uns eine neue Heidelberger GTO 52 Vierfarben, um unsere alte GTO 46 Einfarben zu ersetzen. Da wir diese nun nicht mehr benötigten, beschlossen wir, diese Maschine als Grundstein für die geplante Verpackungsdruckerei nach Mexiko in die Sierra Mazateca zu verfrachten. Was uns noch fehlte, war ein Original Heidelberg Zylinder (OHZ) im Bogenformat 38 x 52, zur Verwendung für Stanzarbeiten und Prägungen.
Wir begaben uns auf die Suche nach einer entsprechenden Maschine. Bei einem Maschinenhändler in Heilbronn hatten wir Erfolg. Wir erzählten ihm von unserem Plan. Er versprach uns, einen passenden Zylinder zu besorgen und auch die Fracht nach Mexiko zu organisieren, die von der Evangelischen Kirche finanziert wurde.
Am 1. Juni 1986 wurde unsere alte GTO 46 und der OHZ, Baujahr 1962, von Hamburg aus nach Veracruz verschifft. Zwei Wochen vorher flogen wir mit den Frachtbriefen nach Veracruz, um dort die beiden Maschinen in Empfang zu nehmen und den Transport in die Sierra Mazateca zu organisieren.
Mit einem geschlossenen 7,5 -Tonnen-LKW ließen wir die beiden Maschinen, die zusammen etwa 4,5 Tonnen wogen, die 200 Kilometer durchs Bergland nach Huautla de Jimenez transportieren. Die Fahrt über die steilen bergigen Landstraßen dauerte sechs Stunden.
Einrichtung der Druckerei
Außerhalb des Ortes gab es eine kleine Lagerhalle mit Blechdach, einem fest betonierten Boden und zwei Fenstern. Dort fanden die beiden Maschinen ihren Platz. In der Halle gab es schon passende Elektroanschlüsse.
Ein lichtdichter kleiner Holzanbau diente als Raum für die Druckvorstufe, in dem Filme und Druckplatten hergestellt werden konnten. Als Reprokamera wurde ein von uns selbst umgebauter, Overheadprojektor der Firma Liesegang verwendet. Die Filme wurden per Hand entwickelt.
In einem Flachbett-Belichter, den wir auf einem Tisch außerhalb des Holzanbaus regensicher positioniert hatten, übertrugen wir die entwickelten Filme per Sonnenlicht auf die Druckplatten.
Die Entwicklung der belichteten GTO-Druckplatten erfolgte ebenfalls per Hand in passenden Entwicklungs- und Spülbecken. Die Trocknung erledigte wiederum die Sonne, die in eine passende lichtdurchlässige Box schien, in der die Platten aufgehängt wurden.
1988 – Das Jahr des Lernens beginnt
Nachdem die Druckerei für die Produktion vorbereitet war, begannen wir mit mehreren – wie wir hofften – zukunftsträchtigen Probeläufen auf den beiden Maschinen. Wir merkten bald, was es bedeutete, unter den Klimabedingungen des südlichen Mexikos, Druckpapiere zu verarbeiten.
Bei Tagestemperaturen um die 25oC – 30oC, und einer Luftfeuchtigkeit von 80 – 100 Prozent verformten sich die Druckbögen sehr viel schneller, als wir annahmen. Planbögen der Qualitäten 80 bis 120 g/m2 begannen sich zu wellen und aneinander zu kleben, so dass der Papierlauf auf der GTO 46 ein kaum einschätzbares Risiko wurde. Kartonagen von 200 bis 300 g/m2 waren einfacher zu verarbeiten, so dass wir uns anfangs auf die Produktion einfacher Verpackungsartikel mit dem Heidelberger Zylinder beschränkten.
Während meine Lebensgefährtin Irene die Druckvorstufe im mittlerweile ausgebesserten Holzanbau einrichtete, fuhr ich nach Tehuacan, einer größeren Stadt am Nordrand der Sierra Mazateca, und besuchte dort eine kleine mittelständische Druckerei, die etwa fünfundzwanzig Mitarbeiter:innen beschäftigte.
Von den dort arbeitenden Druckern und Weiterverarbeiter:innen lernte ich, wie sie mit den Papieren umgingen, die durch Strich und Grammatur den Klimabedingungen besonders stark ausgesetzt waren.
Ich besorgte mir eine Papierpresse für das entsprechende Planbogenformat, in dem die Bogen vor Drucklegung gepresst gelagert wurden. Sowie eine Belüftungseinrichtung um die Bogenfeuchtigkeit optimal anzupassen.
Mit diesen beiden Einrichtungen gelang es uns, die Bogen für die Drucklegung zu optimieren. Die ersten Probeläufe schienen erfolgversprechend. Ich stellte eine Stanz- und Rillform her und produzierte auf dem Heidelberg Zylinder eine kleine Auflage der geplanten Kaffeeverpackung.
Durch den Kontakt zur ortsansässigen Kaffeekooperative lernten wir eine Gruppe von Kaffeearbeiter:innen kennen, die wir schließlich zur Besichtigung der zukünftigen Verpackungsdruckerei einluden.
Es kamen etwa dreißig interessierte Campesinas und Campesinos, die sich die beiden Druckmaschinen ansahen und die gestanzten und linierten Probedrucke der Verpackung befühlten. Irene zeigte den Bäuerinnen, wie sich aus den planliegenden Drucken fertige Schachteln per Hand falzen und kleben ließen.
Später saßen wir am Feuer vor der Druckerei, tranken selbst gefertigten Kaffee, aßen Maistortillas und Enchiladas, und besprachen, wie es mit der Druckerei weitergehen könnte.
Drei Jahre der Entwicklung und Unterstützung
Von 1989 bis 1991 begannen Irene und ich mit der Ausbildung der von der Kaffeekooperative für die Druckerei zur Verfügung gestellten Mitarbeiter:innen. Zwei jüngere Männer lernten die Bedienung der GTO 46 und des OHZ. Sechs Frauen wurden in der Weiterverarbeitung und in der Druckvorstufe ausgebildet.
Schon bald produzierten die Drucker in Auflagen von 1.000 Stück perfekte Kartonagen, die auf dem OHZ gestanzt und gerillt wurden. Vier der Frauen fertigten daraus Faltschachteln und aus geringeren Grammaturen auch Verpackungstüten.
Zwei der Frauen wurden von Irene in der Druckvorstufe ausgebildet, lernten die Reprokamera zu bedienen, und fertigten Offset-Druckplatten. Ein ehemaliger Mechaniker – ein älterer Herr, der aus gesundheitlichen Gründen nicht im Kaffeeanbau tätig war – produzierte sehr geschickt die für den Zylinder notwendigen Formen der Stanz- und Rillwerkzeuge.
Allmählich wurde das Druckhandwerk für die Beschäftigten zum produktiven Alltag,
den sie bald ohne uns bewerkstelligen konnten. Der Beitrag der Ulenspiegel Druck & Verlag GmbH zur wirtschaftlichen Konsolidierung der Kaffeevermarktung näherte sich somit dem Ende.
Der Nutzen der marktwirtschaftlichen Solidarität
Als wir von Ulenspiegel Druck Ende der 1980er Jahre zum Aufbau einer regionalen Verpackungsdruckerei in die mexikanische Sierra Mazateca aufbrachen, hatten wir definitiv keine fertige Antwort, wie die Verbesserung der Verhältnisse für die dort lebenden und arbeitenden Einwohner:innen umsetzbar sein könnte.
Die Möglichkeiten eines solidarischen Handelns blieb in den Anfängen des Druckereiaufbaus erstmal begrenzt. Eine funktionierende Produktionslogistik musste entwickelt werden, damit eine verlässliche Anlieferung von Kartonagen, Papieren, Druckfarben, Filmen, Druckplatten, Leimen, Druckhilfsmitteln usw. ins Hochgebirge gewährleistet war.
Wir lernten bald, dass eine solidarische Ökonomie nicht allein zum Ziel haben darf, bessere Preise im regionalen Handel oder in der Systematik des globalen Marketings zu erlangen, sondern vor allem die Unterstützung sozialer Bewegungen und regionaler Entwicklungen im Visier haben muss.
Eine solidarische Projekt- und Produktionsentwicklung ist per se nicht neutral. Sie findet sich nicht nur in einer verbesserten Vermarktungstechnik wieder, sondern vor allem in der Verbesserung der sozialen Lebensumstände, und der Option hierfür Produktionsmittel optimal nutzen zu können.
Abgekoppelte Märkte im globalen Süden bedeuten im schlechtesten Fall, dass abhängige und unterbezahlte Arbeit entsteht, die dazu dient, Reichtum in den Ländern des globalen Nordens zu generieren.
Daher ist es wichtig, Handels- und Produktionsformen zu entwickeln, die Unabhängigkeit und Autonomie in der Dritten Welt ermöglichen.
Durch diese Praxis können Überschüsse generiert werden, die dazu dienen, eine lebenswerte Infrastruktur auf möglichst viele regionale Lebensräume umzuverteilen.
Wichtig werden daher in Zukunft mehr und mehr Produktionsverbesserungen und Selbstvermarktungskonzepte durch Produzent:innen sein. Je mehr die Wertschöpfung in den Produktionsländern verbleibt, umso nachhaltiger und besser sind letztlich auch die Bedingungen im globalen Maßstab, auch mit Blick auf die Migrations-Debatte.
Unterstützung bei der Qualitätsentwicklung sowie Bildungsarbeit sind dabei bedeutsame Faktoren. Marktwirtschaftliche Solidarität und solidarischer Handel sind Hilfen zur Selbstermächtigung von regionalen Produzent:innen und Kooperationen.
Es gibt im solidarischen und fairen Handel verschiedene Akteur:innen, die eine solidarische Zusammenarbeit und Produktionserweiterung mit Kooperativen entwickelt haben. Die Konzepte unterscheiden sich dabei je nach Produkteigenschaften. Aber solidarische Organisationen und Vereine eint der Versuch, alternative Produktions- und Handelsformen zu entwickeln und mehr Wertschöpfung, aber vor allem auch, soziale und menschenwürdige Lebensumstände in den Produktionsländern möglich zu machen.
Von der Ersten und Dritten Welt zur Einen Welt
Was wir von Ulenspiegel Druck in den 1980er mit dem Druckerei-Aufbau und der Ausbildung der Campesinas und Campesinos in der Sierra Mazateca versucht und teilweise auch erreicht haben, war eine Form der Wiedergutmachung einer langen Tradition der kolonialen Herrschaft der Ersten Welt, die auf der absichtlichen Zerstörung des Wissens und der Kulturen der Völker der Dritten Welt gründete.
Vor 43 Jahren haben wir, als Bewohner:innen der Ersten Welt, durch unsere Arbeit gelernt, dass es notwendig ist, eine Gegenentwicklung als wichtiges Szenario zu entwerfen, um die Zerstörung der Lebensgrundlagen, denen die Bewohner:innen in den kolonialisierten Ländern der Dritten Welt ausgesetzt waren und noch immer sind, nachhaltig entgegenzuwirken.
Um die noch immer stattfindende koloniale Zerstörung der Länder der Dritten Welt durch politische Einflussnahme und wirtschaftliche Ausbeutung zu verschleiern, benutzt die politische Elite des globalen Nordens heute Begriffe wie „Entwicklungsarbeit“ und „Entwicklungsländer“.
Diese Begriffe werden in Deutschland schon seit den 1950er Jahren verwendet, obwohl es dafür keine einheitliche Definition gibt. Die Mehrzahl dieser Staaten weist jedoch einige der folgenden gemeinsamen Merkmale auf:
- Schlechte Versorgung großer Gruppen der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, dadurch Unterernährung und Hunger.
- Niedriges Pro-Kopf-Einkommen, Armut.
- Keine oder nur eine mangelhafte Gesundheitsversorgung, eine hohe Kindersterblichkeitsrate und eine geringe durchschnittliche. Lebenserwartung.
- Mangelhafte oder keine Bildungsmöglichkeiten, eine hohe Analphabetenquote.
- hohe Arbeitslosigkeit, ein insgesamt niedriger Lebensstandard, eine oft extrem ungleiche Verteilung der vorhandenen Güter durch politische Unterdrückung.
Diese Merkmale rufen bei den betroffenen Menschen das Bedürfnis hervor, sich ihren Lebensverhältnissen zu widersetzen und anderswo bessere Lebensbedingungen zu finden.
Sie versuchen in die Industrienationen der Ersten Welt zu migrieren,
um dort zu arbeiten, ihren Bildungsstandard zu verbessern und der sozialen Unterdrückung durch den noch immer manifest vorherrschenden Geist des Kolonialismus zu entfliehen.
Die Migrant:innen an den nationalstaatlichen Grenzen der Industrienationen abzufangen und sie wieder in ihre Heimatländer zurückzuschicken, ist der politische Plan aller Regierungen der Europäischen Union. Dass die Umsetzung dieses Plans den Kolonialismus der letzten 200 Jahre perpetuiert, wird von den politischen Eliten nicht adaptiert.
Die fürs Überleben notwendige gemeinsame Entwicklung der Menschheitsgeschichte zu einer völker- und kulturübergreifenden Einen Welt wird somit vermutlich noch für lange Zeit auf der Strecke bleiben, wenn man sich nicht konsequent gegen die Zerstörung der Natur, der Menschenrechte und eine imperialistische Wirtschaftsentwicklung wehrt.
Am Ende geht es darum, nicht die Symptome zu lindern, sondern die Ursachen zu bekämpfen.
Guido Rochus Schmidt
Autor, Redakteur, Experte für die Nachhaltige Medienproduktion, Lobbyist für die Nachhaltige Transformation
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