Jürgen Zietlow
Kommentar: Kann ein Kan(n)zler Merz grüne Politik?

Die Mitte hat sich mit 80 % behauptet. Der sehr wahrscheinlich neue Kanzler Friedrich Merz steuert auf eine stabile Regierung zu. Einige dürfte überraschen, dass sich auch die CDU in ihrem Parteiprogramm mit der nachhaltigen Transformation auseinandersetzt. Liegt das daran, dass Ökologie mittlerweile rentabel ist und sich daraus interessante Geschäftsmodelle realisieren lassen? Wie grün wird die Politik der CDU, mit welchen Folgen für die nachhaltige Transformation – und für die nachhaltige Medienproduktion? Ich bin skeptisch und optimistisch zugleich. Eine Orientierung.

von | Februar 2025 | Allgemein | 0 Kommentare

Friedrich Merz und die nachhaltige Transformation
Der neue Bundeskanzler, Friedrich Merz. Bildquelle: Steffen Prößdorf, Wikimedia Commons
Der neue Bundeskanzler, Friedrich Merz. Bildquelle: Steffen Prößdorf, Wikimedia Commons

Auf den vermutlich neuen Kanzler Friedrich Merz kommen extrem schwierige Aufgaben zu. Und ja: Er wäre nicht mein persönlicher Wunschkanzler, aber er ist! 4 Jahre! Also gilt es, aus gegebenen Situation das Beste zu machen, besonders im Sinne der nachhaltigen Transformation.

Für mich persönlich war Robert Habeck im Wahlkampf einer der überzeugendsten Politiker. Seine Ideen waren visionär, aber wohl vielen Unternehmer:innen mit zu wenig Fokus auf das Hier und Jetzt.

Für uns Demokraten ist es aber nun wichtig, die Realität und ein nun modifiziertes nachhaltiges Konzept anzuerkennen und die durchaus existenten nachhaltigen Pläne der CDU zu lokalisieren und, wo sinnvoll, zu adaptieren und zu verstärken. Immerhin lässt sich, Stand heute, auf folgendem aufbauen:

Grundsätzlich ist die nachhaltige Transformation auch für die CDU ein Thema, jedenfalls dem Parteiprogramm folgend.

Die CDU steht zu Europa, sie steht zu einem klaren Kurs gegenüber den USA und Russland und will, wie die bisherige Regierung, ein starkes Europa voranbringen, auch auf Basis der Green Economy und der auf dem CO₂-Handel basierten Dekarbonisierung der Wirtschaft. Diverse Punkte des Themas stehen im Parteiprogramm, so auch die nachhaltige Umgestaltung des Verkehrs und die Förderung grüner Energie, wenn auch vermutlich nicht so konsequent, wie von den Grünen avisiert.

Die Nachhaltigkeit ist also auch für die CDU vielleicht nicht das, aber ein Thema – ich bin gespannt, wie sich der neue Kurs mit Blick auf die Nachhaltigkeit anfühlt. Die Partei hat viele Direktiven des Green Deals selbst erschaffen, nicht nur die europäischen Grünen. Ein ähnliches Zugehen auf die Wirtschaft, wie vermutlich von Merz avisiert, konnte Habeck trotz aller Eingeständnisse offensichtlich nicht überzeugend vermitteln, so visionär seine Wirtschaftspolitik auch war und so drängend dieses Thema ist.

Wer das Parteiprogramm der CDU liest, findet dort also durchaus nennenswerte Signale für die nachhaltige Transformation > mit Eingeständnissen < die aber dafür vermutlich eine breitere Akzeptanz mit sich führen dürften. Beispiele:

  • Die CDU will einen Bürokratieabbau, bekennt sich aber zu EU-Gesetzen, weitgehend auch auf Basis des Green Deals bzw. Clean Deals.
  • Merz fordert eine Entschärfung und z. B. beim Lieferkettengesetz weniger Berichterstattung (CSR) bzw. Aufwand damit, gemäß den bereits durch die Grünen selbst angestoßenen Entschlankungs-Prozessen in der EU, gleichwohl:
  • Die Rede ist zumeist von Entschärfung z. B. der EU-Taxonomie, nicht von ihrer Beseitigung.
  • Auch der ESG-Mechanismus soll keineswegs abgeschafft, leider jedoch für staatliche Investitionen weniger stringent sein.
  • Für private und teils auch institutionelle Investoren bleiben ESG-Investments auf Basis von CSR-Linien relevant.

ESG-Mechanismus wird nicht begraben

Generell wird sich der ESG-Mechanismus durch die politischen Wandel hier und in den USA, trotz aller Kritik auch aus den USA, nicht egalisieren, wie teils in den Medien zu lesen ist. Einerseits entscheiden private Investoren immer noch selbst, wem sie ihr Geld anvertrauen. Andererseits haben sich ökosozial fokussierte Geschäftsmodelle als besonders resilient, sicher und wirtschaftlich erwiesen. Das ist es, was Investoren motiviert, auch künftig auf ESG-Projekte zu setzen, ungeachtet dessen, was Trump oder Musk dazu sagen.

ESG-Investitionen bleiben stabil und der ESG-Mechanismus ein wesentlicher Faktor.

Das Gesamtvermögen nachhaltiger Fonds hat sogar neue Höchststände erreicht, wenn auch deutlich langsamer als in den Vorjahren. Bei näherer Betrachtung zeigen sich regionale Unterschiede: Die Abflüsse wurden durchweg von Nettoverlusten in den USA getrieben, während Europa stetige Nettozuflüsse verzeichnete und in den ersten drei Quartalen 2024 37 Milliarden US Dollar in nachhaltigen Fonds anziehen konnte.

Die Diskussion ist sinnvoll, wie Ratingagenturen künftig bewerten bzw. sich Greenwashing-Investments von real nachhaltigen besser abgrenzen lassen.

U. a. der ESG-Investment-Specialist Til Schultes von Aktienfondsmanager Berenberg resümiert: “Auch wenn sich die Aufmerksamkeit in letzter Zeit von nachhaltigen und ESG-Faktoren als primärem Verkaufsargument für Finanzprodukte wegbewegt hat, bleiben die globalen Herausforderungen, die ursprünglich den Anstoß für die Integration von ESG-Faktoren gegeben haben – wie Klimawandel, Verlust der Artenvielfalt und andere – unabhängig von sich wandelnden Markttrends bestehen.

Sicher ist indes, dass die EU-Taxonomie, wie diverse andere Direktiven, umgebaut, nicht aber abgeschafft werden, denken wir nur an das Entwaldungsgesetz (EUDR). Im Real Life wird es nicht ohne Kompromisse gehen.

Und das macht auch künftig Nachhaltigkeitsberichterstattungen notwendig, ob diese dann unter der CSRD-Headline stehen oder anders heißen bzw. administriert werden, sei einmal dahingestellt.

Friedrich Merz und die nachhaltige Transformation

Der neue Bundeskanzler, Friedrich Merz. Bildquelle: Steffen Prößdorf, Wikimedia Communs

Umfrage zu ESG

Laut einer LSEG-Umfrage aus dem Jahr 2023 gaben 73 % der europäischen Pensionsfonds an, dass der Klimawandel im Jahr 2023 eine Investitionspriorität darstellt, verglichen mit 53 % der amerikanischen Fonds. Darüber hinaus ergab eine kürzlich durchgeführte Morningstar-Studie, dass 67 % der Vermögensverwalter weltweit der Meinung sind, dass ESG-Überlegungen heute einen größeren Stellenwert in ihren Anlageprozessen haben als noch vor fünf Jahren.

Klare Signale also, an denen sich, nach allem, was bis jetzt bekannt ist, auch die EU-Politik und der deutsche Kanzler vermutlich orientieren werden.

Wie geht es weiter mit der neuen Regierung?

Auch für die nachhaltige Wirtschaft ist gut: Wir gehen auf eine stabile Regierung zu.

Obgleich die CDU bei weitem keine derart ambitionierte grüne Politik forcieren wird, hat Friedrich Merz eine Chance verdient, seine politischen Vorstellungen jetzt auszurollen. Ich bin auf die Details gespannt.

Zusammenstehen ist jetzt wichtig. Eine weitere Spaltung würde auch der nachhaltigen Transformation schaden. Die Devise: Realitäten anerkennen und positive Tendenzen verstärken.

Jeder von uns wünscht sich jetzt eine klare, entschlossene Politik, die Stärkung der EU gegen andere Wirtschaftsräume und eine vernünftige nachhaltige Wirtschaftspolitik, die es Unternehmen künftig erleichtert, die Wirtschaftlichkeit und die Nachhaltigkeit schneller in Einklang zu bringen, etwa durch anders gelenkte Aufwände. Wichtig bleibt natürlich, dass das mit dem Green Deal gewollte dabei nicht zu sehr granuliert wird. Die Hoffnung:  Berichterstattungen sind nützliche Instrumente der nachhaltigen Unternehmenssteuerung und längst nicht nur Gängelungen. Druckereien der UmDEX-Klasse unterstreichen das.

Das Gute an der aktuellen Situation ist eine gute Chance für einen breiteren Konsens = Handlungsfähigkeit.

Lieber ein Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach?

So klein wird dieser Spatz möglicherweise gar nicht sein, Beispiele:

  • Die von Habeck begonnenen Bürokratie-Checks sollen zügig fortgesetzt werden.
  • Nur die nationale Umsetzung des Lieferkettengesetzes in ihrer bestehenden Form soll abgeschafft werden und zugleich EU-weit vereinfacht werden.
  • Im CDU-Programm heißt es: „Wir verstehen Nachhaltigkeit umfassend, die Klimaneutralität 2045 fest im Blick.“ Oder: 
  • Der nachhaltige Umgang mit dem Klimawandel ist stets im Einklang mit der Emissionsreduktion und einer Kohlenstoffkreislaufführung zu sehen.
  • Ferner ist die Rede von „Wirtschaften ja, aber nachhaltig“, „Moore schützen und wiedervernässen“, „[…] Emissionsfreier Lastenverkehr“ oder auch: „[…] Rad mit anderen Verkehrsmitteln verknüpfen“ etc.

Politik ist ein Trippeln. Wir gingen in der EU 7 von 10 Schritte vor und haben einiges geschafft. Nun gehen wir ggf. wieder 3 Schritte zurück, um danach wieder die nächsten Schritte nach vorne zu gehen. Demokratie ist anstrengend.

Mit Blick auf ESG und CSRD (Nachhaltigkeitsbericht) wird es (und soll es stärker werden) auch Sache der Unternehmen selbst sein, freiwillig Bericht zu erstatten. Die Nachfrage wird bestehen bleiben. Je mehr dies tun, desto größter die Motivation anderer.
Auch Umwelterklärungen und -bilanzen sind Instrumente, um eigene Effizienz-Optimierungen zu lokalisieren. Wir haben jetzt die internationalen Standards und Mechanismen. Es gibt Workflows und Frameworks. Das alles ist über Jahrzehnte gewachsen.

Geldgeber, Unternehmen und Konsumenten: Es liegt an uns allen gemeinsam, in welchem Tempo die nachhaltige Transformation weitergeht.

Auch das muss gesagt sein: Zuletzt gab es auch Bereicherungen und Greenwashing im System (nicht nur beim Emissionshandel). Routine hat sich breit gemacht. Und es wurde immer lauter daran gezweifelt, ob die Kontrollen Zehntausender von Berichten aufgrund der jeweiligen Umfänge überhaupt hätte geleistet werden können.

Ein Reset bedeutet nach allem, was mir bis jetzt bekannt ist, nicht, dass wir die „Programme“ verlieren, sondern dass die Programme, die sich teils beinahe aufgehängt haben, danach möglicherweise sogar flüssiger laufen, auch durch mehr Akzeptanz.

Nachhaltigkeit ist auch ein Konjunkturprogramm. Wer will, findet neben dem den wichtigen Thema des Klimawandels, einen Korb voll weiterer, wirtschaftlicher Vorteile mit Blick auf die Dekarbonisierung.

PS

Friedrich Merz spricht von bis zu 900 Milliarden Euro Investitionen. Schon Habeck war klar: Ohne Investitionen keine (nachhaltige) Zukunft. Investitionen, die sich, wenn sie nachhaltig investiert werden, rentieren dürften. Diese Entwicklung war bereits vor Monaten absehbar.

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Jürgen Zietlow

Jürgen Zietlow

Datenanalyst, Fachjournalist, Unternehmensberater für nachhaltige Kommunikation

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Menschen, die der nachhaltigen Transformation und ihren Gründe skeptisch gegenüberstehen, hegen manchmal auch Zweifel am Green Deal – unweit der Frage, wie wichtig die nachhaltige Medienproduktion ist. Was motiviert Druckereien wie Lokay, weit über gesetzliche Anforderungen hinaus nachhaltig zertifizierte Druckprodukte herzustellen – könnten sie sich doch einfach ein grünes Mäntelchen anziehen, so wie andere? Wissen schafft Klarheit – als Basis für Haltung und Werte. Weg frei für den Fortschritt!

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