Agrargipfel In Brüssel
Der Meilenstein der Julia Klöckner – Ein Desaster für das Klima

Business as usual. Bei der Agrarindustrie knallen nun weitere sieben Jahre die Sektkorken. Mit dem Beschluss des EU-Agrarrates für die künftige Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ist der groß angekündigte Green Deal zu Grabe getragen worden. Zwei Drittel des insgesamt 387 Milliarden Euro schweren zukünftigen Subventionspaketes, nämlich 255 Milliarden Euro, werden wie bisher schon, ohne irgendwelche Auflagen in den nächsten sieben Jahren nach dem Gießkannenprinzip an die europäischen Landwirte verteilt.

von | Oktober 2020 | Allgemein | 0 Kommentare

Die Folgen der Landwirtschaft, Bild von andreas160578 auf Pixabay
Die Folgen der Landwirtschaft, Bild von andreas160578 auf Pixabay

Lediglich 130 Milliarden Euro will der Agrarrat an Umweltauflagen knüpfen, allerdings erst nach einer Testphase von zwei Jahren und zudem freiwillig. Bisher waren Umweltauflagen verpflichtend. Das ist jetzt nicht mehr so.

Und trotzdem verkauft Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner die Beschlüsse des von ihr geleiteten EU-Agrargipfels als Meilenstein des ökologischen Fortschritts. Sie ignoriert damit nicht nur die Vorschläge des Biodiversitätsgipfels der UN, sondern führt bewusst alle klimapolitischen Bestrebungen für eine umweltgerechte Zukunft der Landwirtschaft ad absurdum.

Von wegen Klimaschutz, von wegen Pestizidreduzierung um fünfzig Prozent, von wegen Sicherung der Artenvielfalt: Alle diese zentralen Punkte einer unumgänglichen Neuorientierung der europäischen Agrarpolitik tauchen im neuen Beschluss überhaupt nicht auf.

Die stummen Opfer agrarpolitischer Monokultur

Können Sie sich erinnern, wann Sie das letzte Mal einen Bläuling gesehen haben oder eine Korbweideneule oder einen Perlmutterfalter? In den letzten Jahren hatten Sie dazu wohl kaum noch Gelegenheit. Denn in den vergangenen zwanzig Jahren ist eine Vielzahl europäischer Schmetterlinge für immer von diesem Planeten verschwunden. Der Abdruck der Roten Liste bedrohter, verschollener oder faktisch ausgestorbener Schmetterlingsarten, die noch in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts unsere Fauna bereicherten, würde den Umfang dieses Artikel sprengen: Es sind über eintausend Arten!

Bläulinge, vom Aussterben bedrohte Schmetterline, Bildquelle Pixabay

Die Hauptursache für das massenhafte Sterben von Insekten wie Schmetterlinge, Käfer oder Bienen liegt im permanenten Einsatz von Insektiziden zur Schädlingsbekämpfung. Flächendeckend werden Herbizide zur Unkrautvernichtung ausgebracht und Felder und Futterwiesen permanent überdüngt – ganz zu schweigen von der Schaffung pflegeleichter, monokultureller Agrarlandschaften. Da hilft auch kein noch so blütenreicher Blumenstreifen am Ackerrain, denn die Fernwirkung all der ausgebrachten Gifte ist mittlerweile allumfassend. Der alarmierende Rückgang der Insektenfauna um 77 Prozent wurde nämlich nicht auf den toten Anbauflächen der Gifte-versprühenden Agrarindustrie gemessen, sondern vor allem in den vier größten deutschen Naturschutzgebieten.

Wirksames umweltpolitisches Handeln wäre also angesichts der vielen ökologischen Katastrophen der letzten Jahrzehnte beim diesjährigen EU-Agrargipfel mehr als notwendig gewesen.

Aber wie schon in den Jahren davor, hat die Agrarpolitik auch bei diesem Gipfel wieder komplett versagt. Auch diesmal haben die Lobbyisten von Bayer, Monsanto, Syngenta und, allen voran, die Vertreter der Bauerverbände erfolgreich verhindert, dass ihre satten Gewinne und Subventionen durch umweltpolitische gesetzliche Richtlinien geschmälert werden. Das Ziel eines klimaneutralen Europas bis 2050 hat einen herbem Rückschlag erlitten.

Erinnern wir uns: Im November 2017 stimmte der damals geschäftsführende Bundesumweltminister Christian Schmidt im Alleingang einer Verlängerung der EU-weiten Zulassung des umstrittenen Herbizids Glyphosat um weitere fünf Jahre zu, obwohl die deutsche Regierung eine Stimmenthaltung beschlossen hatte. Seine  Stimme war letztlich dafür ausschlaggebend, dass diese krebserregende Substanz bis zum Ende des Jahres 2020 ausgebracht wird. Man darf sich ruhig fragen, wieviel Schmidts Ja zu diesem Beschluss gekostet hat. Bezahlt wurde es unter anderem mit der bis heute fortschreitenden Vernichtung unserer Fauna und Flora.

Die hilflosen Opfer der europäischen Agrarpolitik?

Traktoren legen Innenstädte lahm. Autobahnen werden mit Mähdreschern blockiert. In Frankreich werden Behörden gestürmt und in Brand gesteckt. Mit Sternfahrten signalisieren Landwirte ihren wachsenden Unmut über behördliche ökologische Maßnahmen. In Spanien werden Umweltschützer von Bauern verfolgt und bedroht. Die europäische Agrarindustrie kämpft mit allen Mitteln gegen die Kritik der europäischen Zivilgesellschaften sowie gegen die geplanten Verordnungen der Regierungen.

Sie demonstriert gegen die Bürokratisierung der Landwirtschaft.

Sie wehrt sich erfolgreich gegen die schon seit Jahren fällige Umsetzung der Düngeverordnung der Europäischen Union.

Sie kämpft gegen die Beschränkungen der Stickstoffausbringung während der Vegetationsphase.

Sie leugnet den Vorwurf, durch Stickstoffkaskaden Hauptverursacher der Feinstaubkontamination im ländlichen Raum zu sein.

Sie mobilisiert gegen die auf Großdemonstrationen von Umweltschützern geforderten Maßnahmen zur Agrarwende und gegen die Schuldzuweisung, einen Großteil des Klimawandels zu verantworten.

Dabei sind alle Kritikpunkte an den ökologischen Folgen der konventionellen Landwirtschaft mehr als berechtigt!

Aber sind die Bauern dafür allein verantwortlich?

In den letzten vier Jahren haben annähernd 35.000 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland ihre Produktion eingestellt. Diese Zahlen nennt der Agrar-Atlas 2019, den die, den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung und die Umweltorganisation BUND vor kurzem veröffentlichten.

Der langfristige Vergleich ist sogar noch erschreckender. Noch 1990 gab es knapp 630.000 bäuerliche Höfe und Betriebe. Im Jahr 2018 waren es gerade noch 266.000. Das sind innerhalb von 28 Jahren 57 Prozent weniger.

Unsozial und unökologisch – wer viel hat bekommt auch viel

Schon seit Jahrzehnten halten Umweltschützer der Regierung in Brüssel vor, mit Direktzahlungen für Ackerflächen nicht nur die Lebensgrundlage für kleine Bauern zu zerstören, sondern auch die Umwelt. Dennoch hält die EU-Kommission weiterhin an diesem Subventionssystem fest, wie der gerade vom Agrargipfel verabschiedete Minimalkompromiss für eine grünere Landwirtschaft beweist.

Diese Subventionen, im EU-Jargon „erste Säule“ genannt, machen gut zwei Drittel der gesamten Agrarsubvention aus und sind an die Größe der Flächen gebunden. Pro Hektar erhält ein Betrieb 176 Euro. Je mehr Hektar ein Bauer bewirtschaftet, desto mehr Geld bekommt er, ohne irgendeine Leistung dafür zu erbringen.

Euroschwemme für die Agrarindustrie, Bildquelle Pixabay

Dazu kommt noch eine sogenannte Greeningprämie von 85 Euro pro Hektar. Die gibt es allerdings nur, wenn er auf fünf Prozent seiner Flächen ökologische Maßnahmen ergreift, zum Beispiel Blühstreifen anlegt oder den Boden im Winter mit Zwischenfrüchten vor Erosion schützt.

In Deutschland gibt es 21.600 Betriebe mit weniger als 5 Hektar Nutzfläche. Die Basiszahlung beläuft sich somit auf 880 Euro pro Betrieb. Die Spitzenreiter kommen auf etwa 1 Million Euro an Basissubventionen. Davon profitieren in Deutschland derzeit 125 Betriebe. Im Durchschnitt bewirtschaften die deutschen Landwirte 61 Hektar und erhalten dafür 10.700 Euro an Basissubventionen.

„Eine klimafreundliche Landwirtschaft wird es nur mit einer anderen Agrarpolitik geben.“

Was also bleibt kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betrieben angesichts dieser Zahlen übrig, wenn sie weiter mithalten wollen? Sie müssen expandieren, ihre kleinen Flächen intensiv düngen, Soja aus Drittweltländern wie Argentinien und Brasilien als Futtermittel zukaufen, um auf diese Weise marktwirtschaftlich halbwegs rentable Erträge zu erhalten, die trotzdem kaum mit denen der großen Agrarbetriebe mithalten können. Für eine Umgestaltung auf klimafreundliche, ökologische Produktionsmethoden bleiben diesen Betrieben angesichts der neuen Brüsseler Beschlüsse so gut wie keine Gelder und keine Zeit.

Leistungen für das Gemeinwohl müssen honoriert werden

Die Art und Weise wie Landwirtschaft betrieben und nun weiterhin gefördert wird, entscheidet darüber, wie viele klimaschädliche Emissionen zukünftig weiterhin entstehen werden. Genau das ließe sich jedoch durch sinnvolle Subventionen steuern und vermeiden. Treibhausgase werden in der Landwirtschaft hauptsächlich durch Tierhaltung und Bodennutzung freigesetzt.

Die Verdauung von Tieren sowie Mist und Gülle setzen klimaschädliche Gase frei. Beim chemischen Düngen von Böden wird das extrem starke Treibhausgas Lachgas emittiert. Außerdem speichern landwirtschaftlich intensiv genutzte Böden immer weniger Kohlenstoff in Form von organischer Substanz und verlieren damit neben ihrer Funktion als CO2-Senke auch ihre Fruchtbarkeit

Ammoniak aus der Tierhaltung ist zudem einer der Hauptverursacher der sogenannten Stickstoffkaskade, die die Atemluft durch die Bildung von Feinstaub erheblich kontaminiert. Dafür sorgen die Ammoniak-Ausgasungen aus Gülle, die sich in der Atmosphäre mit anderen Gasen verbinden und so zu Feinstaub werden.

Eine neue Studie des Mainzer Max-Planck-Instituts, die Todesfälle durch Feinstaubbelastung in Zusammenhang mit der Landwirtschaft bringt, ergab, dass allein die Ammoniak-Emissionen aus der Landwirtschaft für rund 50.000 vorzeitige Todesfälle verantwortlich sind, denn mit einem Anteil von etwa 95 Prozent ist die deutsche Landwirtschaft Hauptemittent dieses Luftschadstoffs.

Joachim Rukwied, der Präsident des Zusammenschlusses der europäischen Bauernverbände, erwiderte daraufhin, dass es Feinstaubbelastungen in der Landwirtschaft schon immer gegeben habe. Er halte die Todesfall-Statistik für unseriös, denn die Feinstaubproblematik sei statistisch gesehen hochgradigen Schwankungen unterworfen. Außerdem gebe es bereits eine Reduktionsstrategie für Ammoniak aus der Tierhaltung.

Leider sprechen die Ammoniakmessungen eine gänzlich andere Sprache. Denn die Reduktionsstrategie, die Joachim Rukwied ins Feld führt, existiert momentan nur auf dem Papier. In vielen Regionen Deutschlands werden die diesbezüglich von der EU-Kommission festgesetzten Grenzwerte bei weitem überschritten. Dabei gäbe es durchaus technische Lösungen, um die Ammoniakemissionen zu verhindern. Doch die kosten Geld, das die Agrarindustrie nicht ohne verbindliche gesetzliche Vorschriften aufwenden will.

„Eine ökologische und soziale Landwirtschaft gibt es nicht zum Nulltarif“

Das bekräftigt einmal mehr Christine Chemnitz, die Umweltexpertin der Heinrich Böll Stiftung. Der Markt allein könne die für die Landwirte entstehenden Kosten nicht decken, deshalb sei steuerliche Unterstützung gefragt. In Zukunft sollten nach Ansicht der Stiftung mit den Steuergeldern vor allem ökologische Leistungen der Landwirtschaft honoriert werden, die für das Gemeinwohl der gesamten Gesellschaft von Nutzen sind, wie der Klimaschutz oder die Erhaltung der Biodiversität.

Klimaschutz durch Humusaufbau – Ein vorbildliches Beispiel aus der Druckbranche

Gesunde Ackerflächen enthalten Humus, der, wie Wälder auch, klimaschädliches CO2 speichert. Humus bindet nicht nur Kohlenstoff, und kommt damit dem Klima zugute,  sondern verbessert ganz wesentlich die Biodiversität und die Bodenqualität insgesamt, die aktuell europaweit dramatisch schlecht ist. Was die konventionelle Landwirtschaft seit Jahren versäumt, wird von anderen Branchen schon praktiziert.

Die CO2-Kompensation von Print durch Humusaufbau, angeboten von der Druckerei Janetschek GmbH, ist weltweit einmalig: Es dient der natürlichen Landbewirtschaftung. Die umweltgerechte Druckerei aus Österreich fördert dieses Humusprojekt proaktiv und kompensiert damit nicht vermeidbare CO2-Emissionen bei der Drucksachenherstellung.

Und dies geschieht ohne Subventionen aus Brüssel, denn dort hat die Druckindustrie – die gegenüber anderen Industriezweigen durchaus als Vorreiterin klimaschonender und nachhaltiger Produktion gilt – keine Lobby. Sie bezahlt die nicht unerheblichen Kosten für ihre betrieblichen ökologischen Umweltschutzmaßnahmen seit Jahrzehnten aus eigener Tasche.

Im Gegensatz zur Agrarindustrie, die immer wieder gezielt ihre Lobby in Stellung bringt, um die agrarpolitischen Vorgaben sowie die Kosten einer sozial-ökologischen Umgestaltung der Landwirtschaft zu verhindern. Statt sich dem gesellschaftlichen Gemeinwohl verpflichtet zu fühlen, lässt sie die europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die, für ihre Klientel bereitgestellten milliardenschweren Subventionen bezahlen – und das schon seit der Gründung der Europäischen Union vor 70 Jahren.

Darum ist es an der Zeit, dass insbesondere Branchen wie die Druckbranche, wo sich Unternehmen immer häufiger freiwillig und durch enorme finanzielle Aufwände um zertifizierten Umweltschutz bemühen, konkret durch gezielte Subventionen unterstützt werden. Eine entsprechende Initiative ist in Vorbereitung und soll 2021 in den politischen Prozess eingebracht werden.  

 

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Guido Rochus Schmidt

Guido Rochus Schmidt

Autor, Redakteur, Experte für die Nachhaltige Medienproduktion, Lobbyist für die Nachhaltige Transformation

Guido Rochus Schmidt war von 1979 bis 2013 Geschäftsführer der Ulenspiegel Druck GmbH & Co. KG, die 1999 als erste Druckerei Bayerns das EMAS-Zertifikat der Europäischen Union erhielt. Als Umweltexperte betreute er von 1999 bis 2017 die ökologische Fortentwicklung des Unternehmens. Seit 2017 berät der Experte Unternehmen bei allen Fragen der Nachhaltigen Medienproduktion.

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Klimapositivität
​Klimaneutral war gestern, denn der Zeitpunkt an dem sich der Klimawandel verselbständigt, wird schon bald erreicht sein. Die Erderwärmung wird erst dann wieder zum Stillstand kommen, wenn es gelingt, das Gleichgewicht zwischen Ausstoß und Senkung von Treibhausgasen nicht nur zu neutralisieren, sondern ins Positive zu wandeln. Klimapositivität ist daher das Gebot der Stunde,

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